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Im Detail

Folgenden Text von Gustav Landauer werde ich weitgehend vollständig zitieren. Ich denke, dass er am besten für sich spricht.

Es ist für mich ein starkes Plädoyer:

  • für ein bedingungsloses Grundeinkommen
  • für flüssige Biografien anstelle von festgelegten Berufen
  • für Netzkultur, die Menschen verbindet und auf alle möglichen Bedürfnisse das passende Angebot zur Lösung liefert
  • für Netzkultur als kritisches Korrektiv, das verhindert, dass nur noch Unsinn produziert wird

Gustav Landauer “Anarchismus im Détail”
(Berlin, 1893)

Ich bin überzeugt, dass […] die Freiheit der beste Regulator ist. Es gibt nicht eine Buchbindergruppe [stellvertretend für eine beliebige Berufsgruppe; dies bringt Landauer in Gegensatz zum Staatsmonopolkapitalismus oder zur strikten Kollektivwirtschaft – jb], sondern jedenfalls eine große Zahl, und eine Konkurrenz zwischen diesen – im guten Sinne – findet unter allen Umständen statt, auch wenn es nicht materielles, sondern ein geistiges Streben ist, was die Einen veranlasst, den Anderen überflügeln zu wollen. Der Gedanke, dass Fachkenntnis, die auf einen bestimmten Kreis von Menschen beschränkt ist, eine Art ausschließliches Privateigentum mit sich bringe, ist nicht richtig: Denn bei der allgemeinen Erziehung, die wir erstreben und die ganz sicher ohne Volksschulzwang oder dergleichen Bahn brechen wird, sowie alle Schranken gefallen sind, wird es jedem jeder Zeit ziemlich leicht fallen, sich dem Arbeitszweig zuzuwenden, der ihm gerade zusagt. Ich sage ausdrücklich “Arbeitszweig”, aber nicht “Beruf”, denn ich glaube nicht, dass es in einer freien und vernünftigen Gesellschaft den Beruf in dem heutigen Sinne noch geben wird. Heute lernt einer ein Handwerk, damit er dasselbe sein ganzes Leben betreibt und davon lebt, aber schon jetzt, je mehr die Maschine an die Stelle des Menschen tritt, desto leichter kann einer aus dem einen Handwerk in das andere übergehen. Das wird in einem viel höheren Maße in Zukunft der Fall sein, wo der Mensch mehr Technik lernen wird, als Griechisch und Lateinisch.

Ich möchte aber die Aufmerksamkeit der Leser noch auf eine ganz besonders wichtige Art der Privataufträge lenken, nämlich auf Aufträge, die von Seiten derer, die sich künstlerisch und wissenschaftliche betätigen, erteilt werden. Wir streifen damit überhaupt die Frage der geistigen Arbeit, die in einem Gegensatz gestellt wird zu produktiver Arbeit. Der Einwand, dass es in einer freien Gesellschaft viele Faulenzer geben wird, soll hier nicht berührt werden. Aber wird es nicht viele geben, die zu arbeiten glauben, ohne dass es wirklich der Fall ist? Wird es nicht gerade wie heute auf geistigem Gebiet eine Unzahl Dilettanten gehen, die die geistig sich abmühen, ohne dass ihre Mitmenschen einen Genuss davon haben? Nun, ich befürchte das nicht. Es wird in einer zukünftigen Gesellschaft viel mehr, als es heute der Fall ist, öffentliche Kritik geben, und es wird auch viel mehr Selbstkritik geben. Ich bin optimistisch genug zu glauben, dass jeder Mensch, wenn die Schranken gefallen sind, einen Beruf im vernünftigen Sinne des Wortes haben wird, in dem er zu irgend etwas, sei es bedeutend oder nicht, wegen seiner individuellen Anlagen besonders berufen sein wird; darin wird er sein Genügen finden und wird nicht so verrückt sein, etwas tun, etwas tun zu wollen, was er nicht kann unter Vernachlässigung dessen, was er gerade als Individuum besonders trefflich kann. Es wird nichts mehr verloren gehen in einer freien Gesellschaft; alle Kräfte werden in der Lage sein, sich umherzutreiben im Spiel der Wirksamkeit.

Um aber nicht vom Hundersten ins Tausendste zu kommen: Wie werden die Erzeugnisse der geistigen Arbeiter zum Publikum kommen? Ein Dichter hat ein Werk vollendet, und er wünscht nun, dass es gelesen werde; wie wird es gedruckt und verbreitet werden? Ich warne wiederum davor, und auch manche Anarchisten warne ich zu sagen: Es wird alles gedruckt werden, ohne Prüfung, ohne Unterschied. Das heißt nichts anderes, als dass über der anarchistischen, der gesetzlosen Gesellschaft, das Gesetz schwebe: Es muss alles in Druck befördert werden. Andere werden vorziehen zu sagen: Die Sachverständigen werden darüber entscheiden. Wer ist sachverständig und wer nicht? Und sollen diese Sachverständigen etwa vom Volk gewählt werden? Dann entscheiden ja doch die Nichtsachverständigen, nämlich die Wähler. Nun wird man mich fragen: Ja, wenn Du das alles nicht willst, dann musst Du der Ansicht sein, dass die Drucker darüber entscheiden sollen, was zu verbreiten ist; und wäre das eine gerechte Entscheidung? Aber eben nicht die Drucker haben zu entscheiden, weil es ‘Drucker’ in diesem einseitigen Sinne nicht mehr gibt. Es gibt nur Menschen, die zu setzen und zu drucken verstehen – neben manchem anderen, dass sie auch noch vermögen. Der Dichter muss sich einfach Menschen suchen, die nach ganz freier Erwägung willens sind, sein Werk zu drucken, und ebenso der Komponist Musiker, die sein Musikwerk aufführen wollen. Die Menschen in einer freien Gesellschaft werden eben nicht mehr wie wilde Tiere einander gegenüberstehen; die Menschen werden sich suchen, und die Menschen werden sich auch finden. Nicht bloß weil sie aufeinander angewiesen sind, weil sie sich brauchen; sondern die Liebe wird herrschen unter den Menschen; und nicht mehr als Moralgebot wird die Liebe gefordert werden; sondern die Liebe wird etwas Selbstverständliches sein, von dem zu reden niemand mehr für nötig erachten wird.

Ich würde mich freuen, wenn diesder Betrachtung die Mitarbeiter und Leser zu einer Diskussion über diese und angrenzende Fragen anregen würden.

(Zitiert nach Gustav Landauer, Ausgewählte Schriften. Band 2, Anarchismus.)