Angela Merkel nennt das Internet “unerforschtes Neuland”. An diesem Bild kann ich nichts peinliches erkennen, keinen Faux-Pas. Nein – in diesem Bild drückt Merkel aus, wie sie das Netz erlebt: als “unclaimed Territory”, einen Raum, den es zu erobern gilt.
Digital Immigrants sagt man zu Menschen, die erst spät den Weg ins Internet gefunden haben. Ich finde die Metapher passt gut zum “Neuland” von Angela Merkel: Einwanderer, die sich ein Land erobern, von dem sie glauben, dass es ihnen zusteht, ohne Rücksicht darauf, dass vielleicht schon Menschen dort leben. Digital Natives nennt man Leute, denen das Internet fester Teil ihres Lebens geworden ist. Wie die Bewohner der Welt außerhalb Europas haben auch die digitalen Eingeborenen ihre Kultur, ihre Werte, ihre Gemeinschaften, in denen sie zusammen leben.
Wenn Merkel das Netz als “Neuland” bezeichnet, das “unter Pflug” genommen werden muss, drückt sich darin ein regelrecht kolonialherrliches Verständnis der Welt aus: Hoppla, jetzt kommen wir. Macht gefälligst Platz und lebt nach unseren Regeln! Wer wie Aaron Swartz Widerstand leistet, wird zur Strecke gebracht wie einst Sitting Bull von den Siedlern, die Amerika als ihr “Neuland” ansahen. PRISM, INDECT, TPP, IPRED, Leistungsschutzrecht – das sind die Werkzeuge kolonialer Unterwerfung, mit denen der Widerstand der Eingeborenen gebrochen werden soll.
Aber das Internet ist keine utopische Neue Welt, kein virtuelles Neuland – es ist Teil dieser Realität, mit ganz realer Wirkung in unser tägliches Leben. Wir haben mit der Erweiterung unserer Welt durch das Netz an vielen Stellen eine Freiheit kennengelernt, die wir zuvor nur erträumen konnten. Wir haben gesehen, wie stark Gemeinschaftlichkeit durch das Netz gefördert wird, wie wir Grenzen überwinden können – geografisch, sozial oder kulturell.
Wollen wir, dass unsere Kultur von den Digital Immigrants in abgelegene Reservate verdrängt wird? Wir müssen unsere Freiheit im Netz verteidigen. Das Netz ist kein Neuland – es ist unser Land.