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Ein paar Gedanken zur politischen Philosophie der Piratenpartei

In der andauernden Diskussion um die scheinbare oder tatsächliche Programmlosigkeit der Piratenpartei, hielt ich es für sinnvoll, einmal in sehr grober und knapper Form aufzuschreiben, was ich glaube, dass die Grundlage der Piraten-Politik ist. (Ich freue mich auf den Shitstorm ob dieser Vermessenheit.Sehr viel poetischer hat dies die Piratenpartei Russland in ihrem Programm ausgedrückt.) (()) (((Über das Thema Strategielosigkeit kommt als nächstes noch ein Post.))) ((((mehr dazu findet man auch in dem Interview mit @validom und mir in der Zeitschrift Widerspruch.))))

1. Menschen im Mittelpunkt

Menschlichkeit ist die Basis von allem. Der erste Grundsatz der Piratenpolitik ist, dass Menschen grundsätzlich gut sind. Die Gemeinschaft hat nicht die Aufgabe, Defizite auszugleichen, zu korrigieren, zu kontrollieren, sondern die Menschen erhalten durch die Gemeinschaft den Rückhalt, ein möglichst glückliches, freies und selbstbestimmtes Leben zu führen. Voraussetzung dafür ist Teilhabe an allen politischen, gesellschaftlichen, kulturellen oder wirtschaftlichen Handlungen und Abläufen für jeden Menschen grundsätzlich und so weit wie möglich zu öffnen, wo Hürden sind, diese abzubauen oder barrierefrei zu umgehen – und zwar nicht nur, was körperliche Einschränkungen betrifft, sondern auch bezogen auf wirtschaftliche, kulturelle oder soziale Assymmetrien. Ein glückliches, selbstbestimmtes Leben der Menschen in freier Entfaltung ist das wichtigste Ziel der Politik. Der erste Grundsatz ist also auch Hedonismus.

2. Freiheit

Jeder Mensch sollte so frei wie möglich von Bevormundung und Zwang sein. Liquid Democracy als System der Mitbestimmung spiegelt diese Vorstellung wider: jeder bestimmt jederzeit selbst die Politik mit, niemand ist durch eine verfasste Hierarchie oder durch irgendwelche anderen Vorgaben mehr dazu in der Lage, als die anderen; Delegationen werden in Einzelfällen zeitlich begrenzt erteilt und können jederzeit wieder zurrückgeholt werden.

Jedem Menschen steht es frei, sein Leben still oder öffentlich zu führen, sich Gruppen wie etwa den Geschlechtern oder Ethnien zuzuordnen oder eben nicht.Es gibt keine substantiellen Aggregate von Menschen wie “Volk” oder “Gesellschaft”, die irgendwelche eigenen Rechte besitzen. Daher gibt es auch kein “öffentliches Interesse” z.B. an der Vorratsdatenspeicherung oder daran, einen Ausweis besitzen zu müssen, sondern es sind nur die Interessen von Einzelnen, die stets im Einzelfall gegeneinander abgewogen werden müssen. Die möglichst weitgehende Freiheit aller bedeutet erhebliche Einschränkungen der Menschen, die schon heute zu Lasten anderer Menschen sich mehr Freiheit nehmen, als ihnen ohne Zwang zustände – es geht also nicht um bedingungslosen Liberalismus, im Gegenteil. Eigentlich ist der zweite Grundsatz ein Anarchismus.

3. Öffentlichkeit

Fast nichts – zumindest nicht bei uns – ist wirklich knapp. Vieles, was allen Menschen an Gütern offenstehen könnte, wird knapp, indem es vom Öffentlichen ins Private verschoben wird. Bildung, Wissenschaft und Kultur an erster Stelle sind keine Waren. Öffentlichkeit – Politik – steht – wie schon bei Aristoteles – im Gegensatz zum Privaten, dem Oikos.

Politik muss vollkommen offen sein; öffentlich muss darüber gestritten werden, was entschieden wird. Transparenz muss das Wesen jeder Verwaltung sein, völlige Durchsichtigkeit auf allen Ebenen und in allen Abläufen. Intransparente Konstruktionen wie Fraktionszwang, Koalitionsverträge oder geheime Sitzungen außerhalb eines ganz engen Schutzbereichs personenbezogener Daten und von Staatsgeheimnissen, von denen der friedliche Bestand der Gemeinschaft abhängt, müssen wir überwinden. Es gibt keine privaten Nischen in der Politik. Die weitgehende Forderung nach Öffentlichkeit kann man als eine Form des Sozialismus sehen.

(((((so, das wärs.)))))

Weiter lesen:

Plus Ultra!
Offenes politisches Handeln
Infantile Politik

2 replies on “Ein paar Gedanken zur politischen Philosophie der Piratenpartei”

Freiheit bedeutet vor allem, kein LQFB benutzen zu müssen, um an Entscheidungen teilhaben zu können.

Ich zerlege das gerade mal:

> jeder bestimmt jederzeit selbst die Politik mit,

Nein, nur die, die die dafür nötige Zeit mitbringen, und zwar dauerhaft, und dann, wenn das System es verlangt.

> niemand ist durch eine verfasste Hierarchie oder durch irgendwelche anderen Vorgaben mehr dazu in
> der Lage, als die anderen;

Nein, die Admins sind systembedingt zu mehr in der Lage. Jemand, der sich die Mühe macht, viele Sockenpuppen einzuspielen (also noch mehr Zeit hat, als die oben genannten), hat auch mehr macht. Und die schlicht immer Vorhandene Hierarche aus der Vernetzung der Teilnehmer wird sich mehr oder weniger in jedes System hinein abbilden.

> Delegationen werden in Einzelfällen zeitlich begrenzt erteilt und können jederzeit wieder
> zurrückgeholt werden.

Nein. Sie können nicht nach einer Entscheidung, die dummerweise in letzter Sekunde noch falsch entschieden wurde für diese rückwirkend zurückgezogen werden. (Die darauf beruhende Problematik ist mir klar). Der Entzug für die Zukunft ist für diese Frage egal, und es war vielleicht sowieso nur eine einmal-Delegation.

Es stimmt also kein Punkt aus dieser Argumentation für LQFB, die in philosophische Gedanken über Freiheit auch etwas fehlplaziert wirken.

Ich sage es lieber so:
Freiheit: Eine Katze will weder rein noch raus. Sie will das die Tür offen ist.

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