“mehr als verdoppelt. SUPER, zittern fuer rot-gruen. Wenn es nicht klappt haben es linken- und piratenwaehler vermasselt.” (Volker Beck)
“Was hat es mit den Parteien, dass sie sich aufführen, wie Fußballmannschaften, die gegen einander gewinnen wollen? (Medien auch so.)” (Marina Weisband)
“Wobei die Umstellung auf fließende Themenbündnisse ein gewaltiger Schritt innerhalb der bestehenden Parteiendemokratie wäre” (Boris Turovskiy)
Heute haben in ganz Deutschland mehr als hunderttausend Menschen gegen ACTA, das “Anti-Counterfeiting Trade Agreement” demonstriert. Für die Vertreter der etablierten Parteien scheint die Auflehnung so vieler der Bürger gegen die sogennante “Netzpolitik” wie ein Schock und in dieser Form völlig unerwartet gekommen zu sein. Meine Timeline ist voll von Zitaten, die dies nahelegen.
Jetzt geht der Politik endgültig der Arsch auf Grundeis. #acta #digitaleöffentlichkeit (@holadiho)
Das glaube ich auch. Und ich bin teile die Einschätzung von Till Westermayer über seine Partei, wenn er seufzt:
Und die Frage, was wir – Grüne, als “etablierte” Partei – diesen politisierten Jugendlichem anbieten können. Anders gesagt: fühle mich alt.
Ich will gar nicht anfangen zu lamentieren, wie sich die Grünen aus ihrer reflexhaften Technologiefeindlichkeit befreien könnten. “Programmcodes und Algorithmen, die Basis des digitalen Fortschritts” – schon beim Versuch, den Beschluss der Bundesdelegiertenversammlung “Offenheit, Freiheit, Teilhabe” vom November 2011 bleibe ich vor lauter postmodernem Kopfschütteln in den Phrasen stecken.
Auch mein stärker werdendes Gefühl von Opportunismus bei den Grünen, bei Netz-Themen einfach schnell noch aufzuspringen, möchte ich hier nicht vertiefen, auch wenn eine Grüne Landesregierung, die keinerlei Bedenken gegen den Einsatz von Trojanern hegt, den ACTA-Aktionen der Grünen zumindest ein Fragezeichen mitgeben. Zu den Grünen und ihrem Umgang mit den “Kindern der digitalen Revolution” empfehle ich Till Westermayers Post.
Demmokratie – darum geht es.
Dass es bei “Netzpolitik” oder “Digitalkultur” (was auch immer das eigentlich sein soll) einen Konflikt zwischen “etablierten” und “nicht-etablierten” gibt, ist nur ein Symptom für eine wesentlich tiefer gehende Unzufriedenheit.
Politische Arbeit in unserer repräsentativen Demokratie scheint sich nämlich irgendwie kaum vom Engagement in irgendwelchen anderen Vereinen zu unterscheiden. Statt sich der Themen anzunehmen, ist es zunächst wichtig, zu gewinnen, und zwar die jeweilige Wahl. Danach muss das Parteiprogramm und am Ende auch noch ein Koalitionsvertrag durchgehalten werden, da sich aus Sicht der Wähler nur an der Programmtreue messen lässt, ob die Partei auch tatsächlich das präsentiert, für was ich sie mit meiner Stimme zur Repräsentation beauftragt habe. Wenn die etablierten Parteien mehr “direkter Demokratie” fordern, so meinen sie damit in der Regel höchstens Volksabstimmung über vorgelegte Gesetzesentwürfe.
Die Willensbildung der Piratenpartei unterscheidet sich davon radikal. Jeder, auch ein Parteifremder, kann Vorschläge einbringen, die vollkommen offen diskutiert werden. Abstimmung, welcher Antrag angenommen werden soll, findet ebenfalls ohne Repräsentation direkt statt. Im System der Liquid Democracy werden also Menschen nicht zusammengefasst durch einen Vertreter repräsentiert, sondern jeder präsentiert sich selbst bzw. delegiert seine Stimme an einen anderen Wahlberechtigten, dem er das Urteil zutraut. Dieses Delegieren ist gilt fallweise und nicht pauschal; derjenige, dem ich meine Stimme übertrage, vertritt mich nicht dauerhaft.
Völlig logisch, dass auch in der parlamentarischen Arbeit keine Parteidisziplin oder kein Fraktionszwang durchzuhalten ist, sondern dass die Abgeordneten fallweise mal dem einen mal dem anderen Zustimmen werden, nicht aber aus der Raison eines Koalitionsvertrages, sondern ausschließlich nach dem Auftrag der Basis.
Ganz in diesem Sinne steht auch die Forderung, die Christoph Lauer im Berliner Abgeordnetenhaus gestellt hat: Schluss mit den Referentenentwürfen. Gesetze, die in der Verwaltung vorbereitet und im Parlament nur noch zur Abstimmung vorgelegt werden, sind selbstverständlich so ziemlich das Gegenteil von Liquid Democracy.
Und da ich nicht glaube, dass die etablierten Parteien diesen Schritt zu einer nicht mehr ganz so repräsentativen Demokratie mitgehen können, wird es ihnen mit allen Versuchen, sich an die “Netzkultur” anzubiedern, vielleicht nicht gelingen, die wirklich Unzufriedenen wieder einzufangen – denn denen geht es um weit mehr, als um kostenlose Downloads.
2 replies on “Alles fließt.”
[…] Jörg Blumtritt findet, dass es zwar “bei ‘Netzpolitik’ oder ‘Digitalkultur’ (was auch immer das eigentlich sein soll) einen Konflikt zwischen ‘etablierten’ und ‘nicht-etablierten’ gibt”, dieser sei aber “nur ein Symptom für eine wesentlich tiefer gehende Unzufriedenheit”. Es gehe letztlich um die Krise der repräsentativen, von Parteiapparaten durchherrschten Demokratie. […]
[…] die man deshalb wohl auch als Netzkultur oder Digitalkultur etikettiert. Nicht zuletzt deshalb reagieren so viele Menschen empfindlich, wenn in dieses Modell des Neuen plötzlich durch Leistungsschutzrechte, ACTA, SOPA […]