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Plus Ultra!

“Bis hierher sollst du kommen und nicht weiter; hier sollen sich legen deine stolzen Wellen!” Hiob 38,11

“Man muß noch Chaos in sich tragen, um einen tanzenden Stern gebären zu können” Nietzsche, Zarathustra


Eine Utopie beschreibt einen Zustand oder Ort, den es (noch) nicht gibt. Der Utopist arbeitet oder kämpft dafür, diesen Zustand zu erreichen. Ob religiös oder ideologisch – am Ende der Mühe steht die Belohnung durch Eintritt in die Utopie.

“Plus Ultra!” – “Immer weiter”. Kaiser Karl V. hatte sich dieses Motto gegeben und in seinem Wappen als Spruchband um die Säulen des Herkules gewickelt, von Alters her das Symbol für das Ende der Welt – wer darüber hinaus segelte, würde unweigerlich über den Rand der Weltscheibe in die Tiefe stürtzen. Für Karl war die Welt rund und nirgends zu Ende. Das europäische Zeitalter der Entdeckungen hatte begonnen.

Non-plus-ultra – es geht nicht besser. Egal ob angebliche Realisten (“das machen wir erst, wenn die Finanzierung 100% klar ist”) oder Utopisten (“Gesellschaft ohne Zwang am Ende des Klassenkampfes”) – die Welt ist eine Scheibe, und wer sich über den Rand begibt, fällt aus dem System heraus.

“Mehr Chaos für mehr Gedanken und mehr Möglichkeiten. Politik der Möglichkeiten, nicht des non plus ultra.” ruft Christina Herlitschka eine neue politische Kultur aus. Schluss mit der Sicherheit von Parteiprogrammen, Schluss mit einem Lagerdenken, das viel zu viele in der Politik wie auf Schienen einem vermeintlichen Ziel entgegen fahren lässt, statt wie in einem Schiff nach allen Seiten beweglich zu bleiben. “Was hat es mit den Parteien, dass sie sich aufführen, wie Fußballmannschaften, die gegen einander gewinnen wollen? (Medien auch so.)” klagt Marina Weisband über dieses Denken in Fesseln.

“Die Piraten sind “die Partei des unendlichen Reichtums”. Die digitale Welt ist durch die unendliche Kopierbarkeit charakterisiert. Die Piraten scheren sich bislang nicht um ökonomische Fragen.
Bei den Wahlen zum Bundesvorstand war es möglich, bei jedem Kandidaten mit “ja” zu stimmen, es waren also mehr Stimmen möglich als Plätze zu vergeben waren.

Angesichts der sich gerade aktuell verschärfenden ökonomischen Krisen ist zu bezweifeln, ob sich mit einer solchen Ausrichtung langfristig Wählerstimmen binden lassen.” Julia Seeliger

Der unendliche Reichtum bedeutet, sich völlige Freiheit im Denken leisten zu können (was nicht automatisch heißt dass die Leute diese Freiheit auch tatsächlich nutzen). Natürlich ist es naiv, die Rahmenbedingungen einfach zu ignorieren. Aber anders als Julia Seeliger glaube ich, dass es viele Wähler gibt, die sich so eine infantile Politik wünschen, die nicht zuletzt durch ihre unprofessionelle Art in maximalem Kontrast zur etablierten politischen Kultur steht.

“Die Vorhandenheitsphilister, mit jenen Brettern vor dem Kopf, die nicht die Welt bedeuten” Ernst Bloch

In unserer Declaration of Liquid Culture vergleichen wir unsere Zeit mit einer Flussmündung, die unser Schiff ins offene Meer entlässt. “Plus ultra!”, wir segeln über den Rand der kartierten Welt hinaus. Kein Ziel vor Augen, aber auch keine Angst vor dem Absturtz ins Bodenlose. Das ist die politische Kultur, die ich mir wünsche.

Die Partei des unendlichen Reichtums stelle ich mir vor, wie die ziegengestaltige Nymphe Amalthea, die mit ihrem früchtegefüllten Horn den Jupiter ernährte, bis er stark genug war, Saturn vom Thron zu stürtzen:

Sed fregit in arbore cornu
truncaque dimidia parte decoris erat.
sustulit hoc nymphe cinxitque recentibus herbis
et plenum pomis ad Iovis ora tulit.

Aber sie brach ein Horn an einem Ast
und war um die Hälfte ihre Zauberkraft beschnitten.
Die Nymphe nahm dieses und umwickelte es in frische Kräuter
und trug es zu Jupiter, gefüllt mit Früchten. Ovid, Fasti

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